Erinnern, Begreifen, Verantwortung übernehmen – Studienfahrt der Abiturstufe nach Auschwitz und Krakau

Im September unternahm die Abiturstufe der Freien Schule Güstrow eine eindrucksvolle und tief bewegende Studienfahrt nach Polen. Ziel der mehrtägigen Reise war es, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus, der Shoah und dem heutigen Umgang mit Erinnerungskultur auseinanderzusetzen.

Tag 1: Begegnung mit der Geschichte in Auschwitz

Am ersten Tag stand der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz I (Stammlager) auf dem Programm. Besonders die Ausstellung mit persönlichen Gegenständen der Opfer – darunter Kinderschuhe, Prothesen und Frauenhaare – löste bei den Jugendlichen tiefe Betroffenheit aus. Das ikonische Tor mit der zynischen Inschrift „Arbeit macht frei“ markierte den Beginn einer emotionalen Auseinandersetzung mit der menschenverachtenden Realität der Lager.

Eine Person aus der Schülerschaft beschreibt seine Eindrücke so:

„Am nächsten Tag angekommen in Auschwitz I, fühlte es sich vor dem riesigen Gebäude so an, als würde sich alles in mir zusammenziehen, und es breitete sich eine unbeschreibliche Leere in mir aus. Auf dem Weg zum Torbogen mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ wurde dieses Gefühl immer schlimmer und ich konnte unserem Guide immer weniger zuhören. Vor dem Torbogen angekommen, fing ich an zu weinen, was für die nächsten Stunden nicht weniger wurde. Denn mich begleitete der erschreckende Gedanke, wie viele Menschen diese Wege unfreiwillig gehen mussten und an diesem Ort starben.“

Am Nachmittag besuchte die Gruppe das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem die systematische Ermordung von über einer Million Menschen stattfand. Die Jugendlichen sahen die Überreste der Gaskammern, die berüchtigte Rampe, an der die Selektionen stattfanden, und die weitläufige Lagerfläche.

„Anschließend waren wir in einer Baracke, dort waren tonnenweise Schuhe, die den ermordeten gehörten, sowie 2 Tonnen Haar und Prothesen. Dies nahm mich mit, mir war übel und ich war zudem auch entsetzt über das, was Menschen machen können, nur weil sie andere Leute hassen. Danach betraten wir einen Raum mit Kinderkleidung, außerdem war dort auch ein Bild von Kindern, die nackt und abgebmagert nebeneinanderstanden, Experimente von Mengele. Das nahm mich sehr mit und ich musste weinen, ich verstehe nicht wie man Kindern so etwas antun kann.“

Den Abschluss des Tages bildete ein historisch-politischer Stadtrundgang durch O?wi?cim mit dem Besuch der Synagoge.

Tag 2: Vertiefende Workshops und künstlerische Auseinandersetzung

Am zweiten Tag nahmen die Schüler*innen an verschiedenen Workshops teil, die sich mit dem Thema „Das Individuum in der Lagerrealität“ befassten. Dabei ging es um die Lebensbedingungen, Perspektiven und individuellen Schicksale der Menschen im Lager. Anschließend besuchte die Gruppe das Haus des ehemaligen Lagerkommandanten Rudolf Höß, das heute als Mahnmal an die Täterseite erinnert.

Ein weiteres Ziel war die Kunstausstellung im Franziskanerkloster in Harmeze, in der Werke eines Auschwitz-Überlebenden gezeigt werden. Seine Zeichnungen, die das Erlebte künstlerisch verarbeiten, hinterließen bei vielen einen bleibenden Eindruck.

„Weiterhin bedrückend war zu hören, mit welcher Effizienz das Ganze dort organisiert und durchgeführt wurde und welchen industriellen Charakter es dadurch bekam: Es begann ja bereits bei der Organisation der Transporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager, dann kam die sogenannte “Selektion an der Rampe” in “arbeitsfähig” und “arbeitsunfähig”, dass Versehen von Menschen mit Nummern, ihre anschließende Ermordung in den Gaskammern und dann die Beseitigung ihrer Leichname in den Krematorien. Nichts wurde dem Zufall überlassen und war streng bürokratisch durchorganisiert. Diese Grausamkeit ist wirklich beängstigend.“

Tag 3: Jüdisches Leben in Krakau – Vergangenheit und Gegenwart

Am dritten Tag führte die Reise nach Krakau, wo die Gruppe das frühere jüdische Viertel Kazimierz erkundete. Bei einer Stadtführung erhielten die Schüler*innen Einblicke in das jüdische Leben – damals wie heute. Der Besuch der Remuh-Synagoge sowie ein gemeinsames Abendessen mit Klezmer-Livemusik in einem koscheren Restaurant rundeten die Fahrt ab und führten die Jugendlichen von der Auseinandersetzung mit dem Gedenken zur Begegnung mit gelebter jüdischer Kultur in der Gegenwart.

Reflexion und Verantwortung

Die Studienreise war für alle Teilnehmenden intensiv, emotional und nachhaltig prägend. Viele Schüler*innen äußerten im Nachgang das Bedürfnis, das Erlebte zu reflektieren und weiterzugeben:

„In der Studienreise lernte ich beispielsweise, dass extremes Gedankengut, sowie der Hass gegen bestimmte Gruppen, einen so starken Ausmaß annehmen können, dass es zu sowas kam und wieder kommen kann.“

„Deshalb ist Erinnerungskultur wichtig, um den Opfern zu gedenken und daraus zu lernen. Jeder hat die Verantwortung aus der Vergangenheit zu lernen. NIE WIEDER IST JETZT!

„Diese vielen Eindrücke machten mir klar, dass es wichtig ist, für Ungerechtigkeit aller Art einzustehen und laut zu sein. Denn wozu habe ich meine Stimme? Bestimmt nicht zum Schweigen! Außerdem zeigte es mir, wie wichtig es ist, menschliches Leid in Bezug auf solche Geschehnisse nicht zu vergessen und wie gefährlich ideologischer Hass und Hetze sein können.“

Einige Schüler*innen reflektierten auch kritisch den Umgang mit dem Erinnerungsort selbst:

„Weiterhin gestört und sehr irritiert hat mich ein Kiosk, welcher sich unmittelbar vor Auschwitz-Birkenau befindet und vor welchem ein großes Softeis aus Pappmaché und ein Cola-Automat steht. Ein Kiosk an einem solchen Ort ist meiner Meinung nach vollkommen unpassend, denn dies ist ein Mahnmal für den Holocaust und das Gedenken daran sollte auf keinen Fall auf diese Weise und so offensichtlich kommerzialisiert werden. Des Weiteren ist es ziemlich respektlos, direkt vor genau diesem Lager, dort wo tausende Menschen ermordet wurden, einen Kiosk zu bauen, welcher Cola, Bratwurst und Eis verkauft, Dinge, welche im starken Widerspruch zu dem, was dort passiert ist, stehen.“

Diese Worte zeigen, wie bewusst die Jugendlichen den historischen Ort und die Bedeutung des Gedenkens wahrgenommen haben.

Die Fahrt verdeutlichte allen Beteiligten: Erinnerung ist keine Pflichtübung, sondern eine Haltung. Sie ruft dazu auf, Verantwortung zu übernehmen – heute und in Zukunft.

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